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Channel: Dolmetscher-Berlin
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Stille-Post-Effekt

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Hallo und guten Tag auf den Seiten des ersten Blogs Deutschlands aus dem Inneren der Dolmetscherkabine. Wenn ich nicht in Paris, Berlin oder sonstwo meine Stim­me verleihe, sitze ich am Übersetzerschreibtisch. Heute durfte ich mich wundern.

Couper les cheveux en quatre nennen Franzosen das, was wir Haarspalterei nen­nen. Auf Deutsch sind wir ausnahmsweise etwas weniger genau als die Fran­zo­sen, die das Haar vierteilen.

Anruf eines entsetzten Kunden mit der Frage, was es denn kosten würde, Un­ter­ti­tel gegenzulesen. Dazu müsste ich erstmal die Ausmaße des Schadens be­gut­ach­ten, sage ich im Scherz.

Immeuble de rapport (Grundriss)
La maison de rapport — das Zinshaus
Das Lachen bleibt mir im Hals stecken, als ich kurz darauf auf einer mit einem Pass­wort  ge­schützten Seite fünf Mi­nu­ten des Films se­he. Drei Un­ter­ti­tel sind OK, das Tempo ist aber immer falsch (das ist noch das un­ver­än­der­te Spot­ting der englischen Fas­sung), oft sind die Titel ultrakurz, an anderen Stellen fällt die Ti­tel­ei wortreich und kurz­at­mig aus.

Ich frage nach und erfahre, dass diese deutschen Untertitel auf einer Ver­dol­met­schung aus dem Französischen ins Englische basieren. Zwei unterschiedliche Dol­met­scher­in­nen hatten im Wechsel übertragen, zwei unterschiedliche Untertitler daraus versucht, deut­sche Titel zu machen. By the way: Keiner der beteiligten Titelsetzer ist des Fran­zö­si­schen wirklich kundig.

Zudem handelt es sich um ein sozialpolitisch hochkomplexes Thema. Es geht um Paris, die Segregation der Armen in Richtung Vorstädte, urbanistische Probleme, auch Architekturbegriffe wie das seit dem Baron Haussmann bekannte immeuble de rapportkommen vor, auf Deutsch geht das in Richtung (schickerer) Miets­ka­ser­ne, wörtlich übersetzt ein "Ertragsgebäude" oder "Zinshaus" von le rapport— der Ertrag.

Pariser Mietshaus
Großzügiges Wohnen Ende des 19. Jh.
Da im Plural les rap­ports in der Verkürzung je nach Kontext auch les rapports se­xu­els be­zeich­nen können, also sexuelle Kon­tak­te, und das Wort im Singular und Plural gleich klingt, interpretierte eine der Dol­met­scher­innen mutig maison de rap­ports als einen "Puff". (Der Kontext mag das ein­ge­flüs­tert haben.) Dem Untertitler war aber nicht ganz geheuer bei der Sache, so wur­de eine "Begegnungsstätte" daraus, denn le rapport kann auch "die Be­zie­hung" hei­ßen.
An einer anderen Stelle wird das Synonym für das englische brothel ge­nannt, the whorehouse, aber so französisch aus­ge­spro­chen, dass das Gebäude auf Deutsch prompt zum "Warenhaus" avan­cier­te.

Well, well. Ich will ja hier keinen verbalen Haarspliss bekommen, aber seit ich die finanziellen Hintergründe der Katastrophe kenne, denke ich nur: Wer keine Profis anheuert, braucht sich nicht zu wundern.

Wir haben dem Kunden empfohlen, die Untertitelung komplett neu machen zu lassen. Das wird billiger als eine Flickschusterei.

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Illustration: Archiv
rez-de-chaussée — das Erdgeschoss

Erleuchtung erbeten

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Hello, bonjour, guten Tag! Was eine Dolmetscherin mit den Lebens- und Ar­beits­ort­en Paris und Berlin so umtreibt, lesen Sie hier. Inzwischen schreibe ich im neun­ten Jahr dieses öffentliche Arbeitstagebuch. 

Am Jardin du Luxembourg
Ein Zitat aus der Kategorie 'kuriose Ab­sa­gen': "... leider kommen wir dieses Mal nicht zu­sam­men. Wir haben uns für eine Deutsch-Muttersprachlerin entschieden."
Öhhmmm, die deutsche Firma kennt mich nur als Dolmetscherin, da scheine ich mit meinem Französisch ge­punk­tet zu haben. Ich nehm's als Kom­pli­ment und freue mich.

Ähnlich paradox ist die Abendstimmung, die am Vormittag hier am Ufer herrscht, dabei sind die Schatten der Men­schen kurz; ein Halbmondnebel taucht in der Fen­ster­lai­bung der Küche auf: Das Licht fällt durch ein Stück Pappe, das zuvor mit einer Nähnadel traktiert wurde.

Dann wird's praktisch: Kolleginnenberatung. Es geht um die Übersetzung dreier Fil­me von je 45 Mi­nu­ten aus Mali, interessiert mich brennend. Faustregel: Zwei Mi­nu­ten normal gesprochene Sprache entsprechen 1800 Anschlägen inklusive Leer­zei­chen, das ist das, was die Deutschen unter einer Normseite verstehen. (Attention, le feuillet français ne comporte que 1500 caractères, blancs inclus; in Frankreich ist diese Normseite 300 Zeichen kürzer.)

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Foto: C.E.

Fest der französischsprachigen Welt

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Bonjour, guten Tag. Ganz gleich, ob ich in Paris oder Berlin bin, Sie können mich auch kurzfristig für Einsätze anfragen, denn ich bin Teil eines Netzwerks aus qua­li­fi­zier­ten Freiberuflern. Derzeit bereite ich mich auf eine Kon­fe­renz und eine Drehreise vor. Terminanfragen erreichen mich am besten per Mail und per Mo­bil­te­le­fon.

Was macht die Dolmetscherin und Übersetzerin (außer sich um eilige Kunden zu kümmern)? Sie geht auf einige Stündlein feiern. Am Samstag wurde die Fran­ko­pho­nie gefeiert, und zwar im Centre Français de Berlin. Und dort gab es nicht nur vie­le französischsprachige Informationen, Filme und Diskussionen, sondern neben Es­sen und Trinken, Märchen- und Musikateliers für die Kleinen auch ein schönes Kon­zert! Das Publikum durfte sich dabei als Chor betätigen. Mitsingen ist Eh­ren­sa­che, zumal wir dabei einige afrikanische Sprachen kennenlernen durften.

Das diesjährige Fest stand unter dem Motto "Frankophonie und Solidarität". Die Ver­an­stal­tun­gen waren zwar rappelvoll, aber überall herrschte eine fröhliche, res­pekt­vol­le, zugewandte Stimmung! Das hat mir besonders gefallen. Von der Ki­no­- und Veranstaltungsbühne des Centre stammt mein Sonntagsbild mit Sister Fa und ihren Musikern. Merci beaucoup !

Bühne in blauem Licht
Berlin-Wedding, Müllerstraße
Es hatten eingeladen:
Belgien, Benin, Burkina Faso, El­fen­bein­küste, Föderation Wal­lo­nie-Brüssel, Frankreich, Ga­bun, Griechenland, Haïti, Ka­na­da, Kap Verde, DR Kon­go, Libanon, Luxemburg, Ma­da­gas­kar, Mali, Marokko, Ni­ger, Qué­bec, Ruanda, Schweiz, Se­ne­gal, Togo, Tschad, Tunesien.

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Foto: © 2015 Peter Panorama Pictures

Die Extras

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Willkommen et bienvenue beim Arbeitstagebuch einer Französischdolmetscherin und -übersetzerin aus dem Inneren der Dolmetscherkabine. Ich arbeite in Paris, Bordeaux, Berlin oder Köln, kurz: überall dort, wo ich gebraucht werde. Meine Arbeitssprachen sind Deutsch, Französisch und (passiv) Englisch. Heute: Wo­chen­end­rückb­lick.

Freitags um eins macht jeder seins, den Spruch kenne ich am ehesten aus dem Osten Deutschlands, wo sich das Gros der Bevölkerung an Wochenenden und im Urlaub deutlicher von den Pflichtveranstaltungen des Arbeits- und Aus­bil­dungs­le­bens abgesetzt hat, als es in der westdeutschen Republik der Fall war.

Freitag um eins, kurz vorm Verlassen des Büros, fiel einem unserer Kunden ein, dass da noch eine Vorlage zu Montag zu übersetzen sein müsste, schaute im di­gi­ta­len Ordner nach und wurde fündig. Wenig später war klar, dass der obenstehende Satz häufig nicht für Freiberufler gilt. Und das ist jetzt keine Beschwerde, sondern lediglich eine Feststellung. Wer hier aus den Reihen der Schüler und Studenten mit­liest: Freiberuflichkeit bedeutet, oft unkonventionelle Arbeitszeiten zu haben. Und dann zählt auch nicht, dass der Geburtstag der besten Freundin oder ein Well­ness­wo­chen­en­de auf dem brandenburgischen Schloss auf dem Programm gestanden hatte.

Noch ein Kunde meldete sich kurz vor eins: Der Veranstalter einer zweitägigen Schu­lung, die im Juni in einer deutschen Stadt stattfinden soll. Er bat mich, für zwei Sprachen das auf das Fachthema am besten spezialisierte Kabinenpersonal zu finden, dann geriet er ins Stottern. Ich hakte nach. Leider, meinte er, müssten wir mit etwa 2/3 von dem auskommen, was in den Vorjahren an Honoraren dafür geflossen war.

Dolmetschpult auf Sendung
Vorsichtig frage ich nach den Hintergründen. Mein Kunde berichtet, dass es daran läge, dass die Dolmetscherkabinen so exorbitant teuer geworden seien. Ich bitte um Details und erfahre, dass ein re­nom­mier­tes Hotel meinem Kun­den angeboten hat, ihm nicht nur die hoteleigenen Kon­gress­räu­me zu vermieten, sondern auch die Technik zu stel­len.

Für diese Extra-Dienstleistung wollte sich nun das vielsternige Be­her­ber­gungs­un­ter­neh­men einen Aufschlag von 100 % der Kosten von Kabinen und Funkstrecke mit Endgeräten genehmigen. Leider erlebe ich so etwas nicht zum ersten Mal.

Daraufhin habe ich dann die mir bekannten Preise aufgezählt und Kon­fe­renz­tech­nik­an­bie­ter empfohlen, die vor Ort ansässig sind. Das Ergebnis: Mein Kunde strich das Angebot des Hotels zusammen, kümmert sich nun selbst um die Kabinen und schlägt uns heute dann per Mail vor, nach vielen Jahren Zusammenarbeit bei un­ver­än­derter Vergütung doch mal wieder die Honorare zu erhöhen. Was für ein schöner Wo­chen­an­fang!

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Foto: C.E.

Westentasche

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Bienvenue, guten Tag! Sie sind auf den Arbeitstagebuchseiten einer Übersetzerin ge­lan­det, die daneben in Paris, Berlin oder wo immer Sie mich brauchen als Fran­zö­sisch­dol­metscherin für Politik, Wirtschaft und Handel, Kino, Medien und Me­dien­öko­no­mie arbeitet. Blick auf den Schreibtisch: Kuriose Anfragen.

Sachen gibt's! Eben flatterte mir das da in die Mailpost:
Sehr geehrte Frau Elias,
als Fachkundige hoffen wir auf Ihre Empfehlung. Wir haben folgendes Kom­mu­ni­ka­tions­problem: Person A spricht Deutsch und kein Fran­zö­sisch, Person B spricht Französisch und kein Deutsch, A spricht ein wenig Englisch, B fast gar nicht. Welcher Technikübersetzer könnte ihnen hel­fen, sich über ein komplexes Thema erfolgreich zu verständigen? Können Sie uns etwas empfehlen, am besten ein Elektronikteil in Westen­ta­schen­grö­ße?
Vorab vielen Dank ...
Zunächst stolperte ich über das "Fachkundige". Die Anfrager sind Fachkundige, warum fragen sie mich dann, schießt es mir durch den Kopf ... Dann irritierte mich der "Technikübersetzer", geht es hier um jemanden, der Bedienungsanleitungen für technische Geräte übersetzt?

Erst dann dämmerte mir die Naivität (oder Unverschämtheit) der Anfrage.

Und ich dachte über eine Analogie nach. Wie wäre es, einen stadtbekannt guten Pizzabäcker nach einer Marke aus dem Segment der Tiefkühlpizzen zu fragen? Der Vergleich hinkt, weil TK-Pizzen, so schlecht sie auch sein mögen, doch wohl ir­gend­wie sättigen. Der Vergleich hinkt allerdings nicht für Gourmets.

Oder einen Reparaturbetrieb für Markenautos nach dem Schrauber am Stadtrand fragen. Hinkt auch, hier geht's in beiden Fällen um Menschen.

Die Autoren der Mailanfrage gehen davon aus, dass komplexe Themen mit Westen­ta­schentranslatoren zu bewerkstelligen sein könnten. Ich fürchte, hier sind Leute mit ein Paar Übersetzungsspielereien mit Microsofttranslator im Rückstand.

Pierre Cardin am Brandenburger Tor
Für derlei ist Sprache viel zu komplex, mehrschichtig, paradox, kulturabhängig.
Sorry, ich wiederhole mich. Ein Handyhersteller warb mal damit, dass sein Gerät Sätze wie: "Ich heiße Pierre und komme aus Paris" fehlerfrei in andere Sprachen übertagen sollte. Es scheiterte indes an: "Könnten Sie mir bitte sagen, wie dieses große Bauwerk heißt?"

Meine Antwort: Ich bin Fachkundige für simultanes Dolmetschen und empfehle, wenn Ihnen der Austausch der Personen wichtig ist, eine Kollegin, die sehr tech­nik­affin ist und viele Jahre in einem Ingenieurbüro gearbeitet hat. Wenn Sie mir das ge­naue Feld mitteilen könnten, um das es geht — vielleicht passt es ja.

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Foto: C.E. (Archiv)

Schreibtischarbeit

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Bonjour, guten Tag! Sie haben die Seite einer Übersetzerin und Dolmetscherin für die französische Sprache angeklickt. Ich lebe und arbeite in Paris und Berlin, meinem Hauptwohnsitz, und ich komme gerne dorthin, wo Sie mich brauchen.

Wenn ich nicht gerade Drehbücher oder Fi­nan­zie­rungs­plä­ne von Filmen übersetze, in der Kabine sitze oder mit Kunden Fa­bri­ken oder Kran­ken­häuser besichtige, sitze ich am Schreibtisch. Dort dürfen Sie mir jetzt wieder über die Schulter schauen:

Pappschachteln mit Kärtchen vor Stempelkarussell
Vokabel- und Visitenkartenboxen
Ergänzung der Lexik Flugsicherheit ... aus traurigem Anlass;

Vorbereitung eines Termins zum Thema Urheberrecht, Recherchen zum Thema Wohnraum, Bedarf und Gestaltung;

Nachbereitung der Filmuntertitelung einer Kollegin (Korrektorat);

Kostenvoranschläge für die nächsten Tage sowie für Einsätze in den Monaten Juni bis Oktober erstellen;

Wiederholung: Fach­lex­ik Ge­sund­heits­ma­na­ge­ment und Notfallmedizin.


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Foto: C.E.

Geoblocking

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Bon­jour, hel­lo und sa­lut ... auf den Sei­ten die­ses Blogs. Hier schreibt ei­ne Dol­met­scher­in und Über­setzerin über ihren Alltag in Berlin, Paris, Köln und dort, wo sie gebraucht wird. Ich bin Teil eines Netz­werks von Freiberuflern.

Die Kollegin in Berlin möchte sich darauf vorbereiten, für einen deutschsprachigen TV-Sender französische Berichterstattung aus den Alpen, Pressekonferenzen und ähnliches zu verdolmetschen. Sie würde sich darauf gerne zuhause vorbereiten (wie wir das im­mer machen) und sucht aktuelle Informationen aus dem Rundfunk.

Wie leider so oft streiken etliche Redaktionen von Radio France, Hörfunk kann also ver­nach­läs­sigt werden. Beim Versuch, in Berlin übers Internet TV-Nachrichten zu se­hen, wer­den dann gerne Bilder wie dieses angezeigt:

Aus rechtlichen Gründen kann dieses Video in Ihrer Region nicht angeboten werden
Darstellung in Berlin
Zweite Möglichkeit: Erst läuft ein Werbefilm, der immer dann blockiert, wenn "in der Zwischenzeit" ein anderes Fenster geöffnet wird, der also angesehen werden muss, worauf die TV-Nachrichten des Vorabends (und nicht der Mittagsausgabe) erscheinen. Das ist alles schrecklich retro und folgt dem Weltbild mit in­ner­eu­ro­pä­ischen Grenzen und unterschiedlichen Länderwährungen! (Wenn Dolmetscher schimpfen, dann vorsichtig.)

Kurzfristige Umgehung: Über Skype bekommt die eine Kollegin Einblick auf den Bildschirm der anderen Kollegin, die sich in Paris aufhält, die dann aber selbst nicht am Rechner weiterarbeiten kann.

Fachmann und Archivbilder aus dem Cockpit
Darstellung in Paris
Diese Formen der Arbeitsbehinderung sind auf jeden Fall alles andere als spaßig. Was macht die nicht so technikaffine Sprachdienstleisterin? Jemand in ihrem Umfeld müsste einen ihrer Webbrowser so abändern, dass die IP-Adresse eines französischen Proxy-Ser­vers angezeigt wird. Mit einem anderen Browser ließe sich dann weiterhin Pro­gramm aus dem Erstland empfangen. Aber kann das jemand? Und ist das auch le­gal? Muss die Vorbereitung der Kollegin in den nächsten Tagen darunter leiden?

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Illustrationen: France 2 (verändert)
#4U9525

Vor- und Nachbereitung

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Guten Tag oder guten Abend! Sie sind mit­ten in ein Ar­beits­ta­ge­buch hinein­ge­ra­ten, in dem sich al­les um Spra­che, Dol­met­schen, Über­setzen und Kult­uren dreht. Als frei­be­ruf­li­che Sprach­mitt­lerin ar­bei­te ich in Pa­ris, Berlin, Marseille und dort, wo man mich braucht. Der Schreib­tisch einer Dolmetscherin ist oft auch mobil, und Vorbereitung ist die halbe Miete. Heute wieder: Blick auf den Schreibtisch.

Vor einem Ladengeschäft sitzt eine junge Frau mit dem Klapprechner an einem improvisierten Tisch
Das "Terrassenbüro", gesehen in Neukölln
Montag um acht ist ein denk­bar schlechter Termin, um ein Interview zu verdolmetschen. Vor allem der Montag nach einer Zeitumstellung an ei­nem schlechtwettrigen Wo­chen­en­de, wo es kaum Spaß gemacht hat, sich draußen auszupowern. So schlecht, dass der mobile urban wri­ting-Desk mehr eine Wunsch­vor­stel­lung oder eine Art Heraufbeschwörung ist.

Und nein, auf dem abgebildeten Fahrrad habe ich mich nicht zu nachtschlafener Zeit im Straßen dem Straßenverkehr ausgesetzt. Es gibt Tage, an denen ich meinen Kunden mit der Rechnung die Taxiquittung mitschicke. Notiz an mich selbst: Ab 2016 mit der Zeitumstellung schon Donnerstag oder Freitag anfangen, je­den­falls mit der vorgezogenen Zubettgehzeit.

Welche Themen liegen auf dem Schreibtisch?
  • Nordafrika, der vereiste Frühling der Demokratie
  • Flüchtlingspolitik
  • Sanitäre Situation in den Flüchtlingscamps der sogenannten Dritten Welt
  • Waffenlieferungen in Krisenregionen
  • Deutsch-französische Beziehungen
  • Zukunft des Euro
  • Französische Tax credits (crédits d'impôts) für ausländische Dreh­ar­bei­ten im Hexagon (ab 01.01.2016)

Die Dolmetscharbeit besteht übrigens zum größeren Teil aus Vor- und Nach­be­rei­tung, auch wenn manchmal ein Thema dabei ist, das ich aus dem Effeff be­herr­sche, so frische ich doch immer die Kenntnisse auf. Die sichtbar beim Kunden ver­brach­te Zeit ist wie die über die Was­­ser­­ober­­flä­­che her­aus­ragende Spitze des Eis­bergs: Ohne großen Eisblock darunter gibt es sie nicht.

Interviews zu dolmetschen ist immer wie eine große mündliche Abschlussprüfung zu bestehen. Die Themen beschäftigen mich im Zusammenhang mit der Sprach­ar­beit für ein Interview, Hintergrundgespräche und ein Seminar.

Dabei würde ich heute Abend viel lieber in Berlin auf die Filmpremiere eines fran­zö­si­schen Films gehen und hätte dortselbst am liebsten auch Film­ge­spräch und zu­vor die Pres­se­in­ter­views gedolmetscht so­wie am Electronic Press Kit mitgearbeitet. Aber das ist leider heutzutage fest in der Hand der berichterstattenden Jour­na­lis­ten, wobei dabei eher (meistens) sinngemäß und verkürzend übertragen wird. Schade. (Auch das ein Verfall der Pres­se­ethik, siehe dazu die Debatte über die Medien der letzten Woche.)

Vokabelnotiz
die Spitze des Eisbergs — la partie émergée de l'iceberg (wörtlich: siehe oben)


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Foto: C.E. (Archiv)

Wasser

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Welcome, bienvenue, hier bloggt eine Dolmetscherin und Übersetzerin über ihren Berufsalltag. Meine Sprachen sind Französisch (als Ausgangs- und Zielsprache) und Englisch (Ausgangssprache). Ich arbeite in Paris, Berlin, Köln und dort, wo Sie mich brauchen.

Nachtrag zum Interviewdolmetschen: Was fällt mir in Ministerkreisen auf, für die ich gerade tätig bin? Das Catering wird wieder einfacher.

Auf der untersten Ebene sind die Mittel knapp, entsprechend mager ist mitunter die Auswahl des Dargebotenen. Auf Staatssekretärsebene können Wünsche ge­äu­ßert werden, dann kommt jemand vom Catering-Service rein, wie es auf gut Deutsch heißt, und bringt vorbei, was das Herz begehrt.

Teekanne mit Stövchen
Tee gab's erst wieder nach der Arbeit
Hier aber, mit dem Verteidigungsminister, liefert der majordome, der Butler, nur eine karge Auswahl, es sind Kaffee und Wasser, um genau zu sein, man hilft sich selbst (oder einander), die mehr nur gehauchte Frage nach einem grünen Tee verhallt ungehört. Jede weitere Störung ist zu vermeiden. Der Journalist hat alles schon aufgebaut, die Zeit sitzt allen im Nacken, der Minister muss gleich wei­ter­rei­sen, um in der Mitte Berlins beim deutsch-französischen Ministerrat sei­nes­glei­chen zu treffen.

Das Wort majordome verwirrt mich als Be­griff immer leicht, denn es klingt ja ganz so, als stecke das Wort "Major" darin.

Was [ma.ʒɔʁ.dɔm] ausgesprochen wird, kommt vom Lateinischen "maior domus", dem Chef des Hauses oder der Domäne, alles klar, den majordome und seinen Major eint, dass beide der jeweilige Boss sind. Heute bekommt jedenfalls ein hoher Militär, dessen Rang sich mir aus den Tressen nicht erschließt, ich­hab­nich­je­dient, aus gefühlt behandschuhten Butlerhänden etwas gereicht, da treffen Sphären aufeinander.

Und statt des mir zugeteilten Kaffees suchen meine Augen die Tafel nach Wasser ab, sans bulles, flüstere ich nebenbei, "ohne Sprudel", dann serviert mir der Herr Minister persönlich; ein kurzes merci, und schon geht's weiter.

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Foto: C.E.(Archiv)

Unnütz

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Hal­lo und herzlich will­kom­men! Sie lesen in meinem digitalen Arbeitstagebuch. Ich arbeite als Über­setz­er­in und Dol­met­sche­rin für die fran­zö­si­sche Spra­che in Paris, Berlin, Frankfurt und dort, wo mich meine Kunden brauchen, die aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, Soziales und Kultur kommen. Heute muss ich über einen kleinen Skandal berichten.

Couple franco-allemand: Au-delà des gestes, il faut passer aux actes
"Auf Worte müssen jetzt Taten folgen"
"Es gibt nichts Unnützeres als Deutsch", sagte heute Mo­de­ra­tor Thomas Sotto zu Da­niel Cohn-Bendit, der im von Sotto moderierten Früh­pro­gramm "Europe Matin" re­gel­mä­ßig seine Gastkommentare abgibt. Das kurze Gespräch war eigentlich dem Deutsch-Französischen Ministerrat gewidmet.

Dass gestern in der deutschen Hauptstadt zum 17. Mal die Minister beider Re­gie­run­gen zu einer großen Kabinettsitzung zusammengekommen waren, hatte dem früheren Europaabgeordeneten Cohn-Bendit zu­nächst als Anlass gedient, konkrete Vorschläge für eine intensivere deutsch-französische Zusammenarbeit zu machen. Der in Frankfurt/Main geborene Politiker (Grüne/Les Verts) widersprach sofort der Ein­las­sung des Moderators; Sotto hakte nach und befand, Grie­chisch oder Latein zu lernen sei doch weitaus sinnvoller.

Der Deutsch-Französische Kulturrat, dem der Vorfall durch ein Interview des Kul­tur­sen­ders Arte am späten Vormittag zur Kenntnis gebracht wurde, wendete sich mit einer offiziellen Beschwerde an die fran­zö­si­sche Medienkontrollbehörde CSA. Die fran­zö­si­sche Kulturministerin Fleur Pellerin und ihre deutsche Amts­kol­le­gin, Staats­mi­nis­ter­in für Kultur und Medien Monika Grütters, richteten umgehend eine ge­mein­sa­me Protestnote an den Privatsender.

Thomas Sotto, so war aus Redaktionskreisen von Europe 1 im Laufe des Tages zu vernehmen, bedauere seine verbale Entgleisung. Der Journalist soll angesichts des mas­si­ven Einspruchs angekündigt haben, binnen Wochenfrist eine im Hörfunk über­tra­ge­ne Redaktionssendung auf Altgriechisch oder Latein abhalten zu wollen. Anderenfalls sei er dazu bereit, seinen Familiennamen in Sottise abzuändern.


Link:Klick, ab 2'08'', Originalzitat:J'ai essayé d'apprendre l'Allemand deuxième langue, j'ai pas encore trouvé grand chose dans la vie qui serve moins que l'Al­le­mand. ("Ich habe versucht, Deutsch als zweite Fremdsprache zu lernen und habe festgestellt, dass es nichts Unnützeres gibt als Deutsch.")
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Illustration: Europe 1

Merci beaucoup XIV

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Stehpult mit Rechner und Tastatur
Arbeit am Stehpultaufsatz
Aus der Mail des deutschen Re­dak­teurs, für den ich neu­lich einen französischen Mi­nis­ter verdolmetscht habe: "Für mich war alles wun­der­bar (...) Vielen Dank, Sie wa­ren so schnell und großartig!!"

Das hilft! Denn trotz langer Be­rufs­er­fah­rung, ir­gend­wel­che Restselbstzweifel bleiben im­mer (oder tauchen auch nach Jahren wieder auf). ______________________________  
Foto: C.E. (Archiv)

A und O

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Bonjour, welcome! Sie sind mitten in eine Fortsetzungsgeschichte hineingeraten. Was bisher geschah: Im neunten Jahr führt hier eine Dolmetscherin und Über­setz­er­in ihr digitales Arbeitstagebuch. Los ging es mit Filmgesprächen und Pres­se­kon­fe­ren­zen der Berlinale, mit einem lässigen Dialog zweier Schauspieler, inzwischen hat sich die Autorin dieser Zeilen als Dolmetscherin auf Ministerebene hoch­ge­ar­bei­tet.

Noch ein Post Scriptum zum Ministereinsatz vom Anfang dieser Woche, weil die Frage gestellt wurde: "Sind Dir irgendwelche sprachlichen Besonderheiten auf­ge­fal­len?"

Mediendolmetschen:
Knut Elstermann, P
ierre-Yves Vandeweerd  und die Autorin
Ja, aber mit Zeitverzögerung. Die deutsche Politiksprache kennt umgangssprachlich wir­kende Begriffe, die in die De­bat­ten und Interviews ein­flie­ßen, die auf Französisch al­ler­dings technisch-deskriptiv blei­ben. Ich denke da an die deut­sche "Schuldenbremse", die Deckelung der Neu­ver­schul­dung, die auf Schweizer Fran­zö­sisch, Linguee.fr zufolge, mit frein à l'endettement/ aux dépenses wiedergegeben wird.

Das Wörterbuch Pons.de hat vor kurzem den in Frankreich gebräuchlichen Begriff la règle d'or, die goldene Regel, aufgenommen, der mir zum ersten Mal aktiv in einem Dolmetscheinsatz untergekommen ist. 2011 dolmetschte ich wiederholt für französische Europapolitiker, die mit Vertretern aus dem Haushaltsausschuss der Bun­des­re­gie­rung ins Gespräch kamen. Ich hantierte erst noch mit einer selbstgebastelten deskriptiven Langfassung, dann flüsterte mir jemand aus dem Stab des Ministers diese Kurzformel zu.

'Règle d'or' würden Franzosen sagen
So ähnlich erging es mir diese Woche mit der "NATO-Speer­spitze". Wörtlich übersetzt würde die Formation fer de lance heißen, und bei meiner Re­cher­che im Netz finde ich viele Stellen, wo diese Ver­sion im ent­spre­chen­den Zu­sam­men­hang vorkommt, nur ist leider der gebräuchliche Be­griff le groupement tac­tique, die (taktische) Kampf­grup­pe. Diesen Begriff sort­ie­re ich zu Hause in die be­tref­fen­de Fachlexik ein.

Außerdem helfen mir die Termini technici, passende Hintergrundtexte im Netz zu finden. Das Ganze wird dann zusammen abgelegt und bei Bedarf wieder her­vor­ge­holt. So wie im Vorfeld meiner Verdolmetschung eines Hörfunkinterviews auf der Berlinale vor vier Jahren.

Lexik in einer Archivbesprechung
Im Film "Territoire perdu" von Pierre-Yves Van­de­weerd geht es um Flücht­lings­la­ger in der Sahara. Hier spielt nicht nur die Politik eine zentrale Rol­le, son­dern auch die Ton­spur. So habe ich zur Vor­be­rei­tung die Wörterliste wie­der­holt, die ich einst bei der Be­glei­tung eines Sound­künst­lers an­ge­legt hatte, der zur Ver­ton­ung eines Spiel­films nach Ber­lin geholt worden war.

Warum etliche politische Fachbegriffe auf Deutsch so wenig konkret, dafür so bil­der­reich sind und damit ganz anders, als es das Ausland von den vermeintlich so rational agierenden Teutonen erwartet, kann ich nicht sagen. Vielleicht ist das Ganze auch das Arbeitsergebnis ge­schickter, auf Kommunikation spezialisierte Po­li­tik­be­ra­ter. Ich wer­de jedenfalls weitere Beispiele sammeln.

Das Dokumentieren ist in diesem Beruf das A und O. Ebenso wichtig ist es, einen langen Atem zu beweisen, damit einem die sprachlichen Besonderheiten der un­ter­schied­lichsten Milieus in Fleisch und Blut übergehen.

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Fotos: Petra Hippler und C.E. (Archiv)

Frühlingspause

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Will­kom­men auf den Sei­ten dieses di­gi­ta­len Ar­beits­ta­ge­buchs, dem ersten Web­log aus dem In­ne­ren der Ka­bine der Französischdolmetscher, die jeweils da stehen, wo die Kunden uns brauchen: in Paris, Berlin, Leizpig oder Hamburg.

Dieser Blog geht in eine kurze Früh­jahrs­pau­se, das Büro ist allerdings besetzt, die Arbeit geht weiter, trotz der Schul­fe­ri­en, denn nicht alle sind un­ter­wegs.

Wenn Sie mögen, kön­nen Sie ab dem 11. April hier wei­ter­le­sen. Wir wünschen eine schöne Zeit! ______________________________
Foto: C.E. (Archiv)

Weiße Ostern

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Bien­­ve­nue beim di­gi­ta­len Ar­beits­ta­ge­buch ei­­ner Dol­­met­scher­in und Über­setzer­in. Fran­zö­sisch ist mei­ne zwei­te Ar­beits­spra­che, Eng­lisch meine "passive" Sprache. An die­sem Ort kön­nen Sie Ein­­blick in mei­nen sprach­be­ton­ten All­tag nehmen, der mich an Orte wie Paris, Berlin, Genf oder Lyon führt.

Weiße Weihnachten gab's nicht, dafür weiße Ostern! Naja, ganz so schlimm ist es heuer doch nicht gekommen, aber fast. In Europa war Ostern zu kalt. Das Klagen lasse ich gleich sein, denn das ändert nichts. Das Wetter wäre auch nicht weiter erwähnenswert, hätte es nicht direkte Auswirkungen auf das Leben der be­richt­er­stat­ten­den Dolmetscherin.

der Hagel — la grêle
Eigentlich sollten wir dieser Tage bei ei­nem Falkner nicht nur seine großen Tiere, son­dern auch das Schlüpfen der Eulen fil­men. Der Falkner lebt in Frank­reich, wes­halb die Dolmetscherin ihre Sachen ge­packt hat. Aber die Kälte stört offenbar nicht nur die Menschen, sondern auch die kleinen Eulchen. Kurz: Der Dreh wur­de ver­schoben. 

Schon kommen die nächsten Im­pon­de­ra­bi­lien ins Spiel: Die geplante Dreh­ver­schie­bung kostet natürlich Geld, Buchungen wurden storniert, Anzahlungen sind per­dü, und ob und wie der auf­trag­ge­ben­de Sender da noch etwas nachschießt, ist nicht klar.

Nun ist damit auch meine Beteiligung kompromittiert, denn es drohen zusätzlich noch Terminkollisionen. Das mal so als kleiner Einblick in die Termin- und Um­satz­pla­nung von Freiberuflern.

Zum Glück werden die schlüpfenden Küken, wenn's dann endlich losgeht, vor Schreck, dass ihnen eine Kamera dabei zusieht, wohl eher den Schnabel halten. Noch einfacher: Man spart den Tonmann gleich mit ein und synchronisiert nach.

P.S.: Die Franzosen erweisen sich hier übrigens als ausgemacht verbengeizig, denn für das Aufblühen von Blumen und das Schlüpfen von Vögelchen gibt es nur ein- und dasselbe Wort: éclore.

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Foto: C.E. (Archiv)

Im Dutzend (nicht) billiger

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Hallo! Was Dolmetscher (interprètes) und Übersetzer (traducteurs) so machen, können Sie hier lesen. Ich arbeite in Paris, Berlin und dort, wo Sie mich brau­chen.

Drei Drehbücher sollen übersetzt werden. Der Kunde fragt nach einem Men­gen­ra­batt und lässt das Wort "Flatrate" fallen. Natürlich haben unsere Zeiten, in denen es sogar das kombinierte Telefon-Internet-Mobil-Abo für wenige Euro monatlich als "Flatrate Light" zu kaufen gibt, genauso die Köpfe verändert, wie die "Geiz ist geil"-Parolen der Elektronikhersteller.

Wie kommen diese Unternehmen dazu? Die Datenhighways werden immer besser ausgebaut, das Datenvolumen wird billiger, und bei Technik ergibt sich nach der Amortisierung der Entwicklungskosten eine immer größer werdende Ge­winn­spanne, von der die betreffenden Unternehmen später im Wettbewerb etwas ab­ge­ben. Soviel zur Praxis industrieller Fertigung.

Freche Kreme muss nicht sein
Auch in Kneipen habe ich Flatrates er­lebt, nein, auf irgendwelchen Fort­bil­dun­gen der Jugendarbeit erlitten, da wird auf den gro­ßen Durchsatz billiger Zutaten, vie­ler (al­ko­ho­li­scher) Getränke und die kur­ze Ver­weil­dau­er in der Beiz gesetzt. Was die Flat­rate in so manchen Bars an­ge­rich­tet hat, darauf möchte ich hier lieber nicht ein­ge­hen.

Was soll eine Flatrate im Bereich Über­setz­ung, der Maßschneiderei für Wörter? Habe ich in einem Sweatshop auf halber Etage eine Gruppe flinker Finger sitzen, die die bewährten Textmodule mal eben zu einer passenden Drehbuchversion zu­sam­men­nä­hen? Und auch beim Kor­rek­tur­le­sen wäre Akkord fehl am Platze.

Ich kehre zum Thema Essen zurück. "Hier kocht die Chefin noch selbst", lautet bei mir stattdessen die Parole, und zwar mit erlesenen Zutaten, einer schönen Bat­te­rie passenden Kochgeschirrs, mit Zeit, Mu­ße und Liebe. Sie gehen doch auch lieber in ein Restaurant, in dem es einige ausgewählte Spezialitäten gibt, erlesene Weine und fachkundige Beratung durchs Per­so­nal? Schnellimbisskost mit vorproduzierten Formfleischstücken, Analogkäse oder Separatorenhühnchenpampe ist zwar billig, liegt aber schwer im Magen, von den Nährstoffen ganz zu schweigen.

So, ich eile jetzt in die Küche, genug interpretiert! Das ist übrigens eine meiner Lieblingsbeschäftigungen, denn "Dolmetscherin" heißt auf Französisch ja l'in­ter­prète, die Interpretin.

P.S.: Das Argument war überzeugend. Wir sprechen jetzt über ein Buch, das ins Deutsche übertragen werden darf, ich freue mich auf die Zubereitung, und ein anderes, das ins Spanische geht, dafür ist der Gemüsespezialist zuständig, das Dritte wird am Ende in russischer Sprache vorliegen, das macht der Bratenkoch, und natürlich gibt es auch immer die entsprechenden (muttersprachlichen) Beiköche (Korrektoren).

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Foto: C.E. (Archiv)

Der Optativ ... oder: Gehacktes

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Will­kom­men auf den Sei­ten mei­nes di­gi­ta­len Ar­beits­ta­ge­buchs, dem ersten Web­log aus dem In­ne­ren der Ka­bine der Französischdolmetscher. Bonjour, c'est votre interprète de français qui vous parle (pour le français, cliquez ici). Ob in Berlin, Paris oder London, hier schreibe ich regelmäßig über meine Arbeit mit Sprachen.

What the heck are they doing? They're hacking ... Kleines Wortspiel, denn What the heck? mit E heißt so viel wie "Was zum Teufel ...?!", während hack mit A direkt vom deut­schen Hacken kommt.

Site en maintenance
Diese Webseite wird über das Wochenende überarbeitet
Der Vorgang dürfte bekannt sein: Da werden Webseiten in ihre Einzelteile zerlegt oder Zugangscodes von TV-Sendern geknackt und stattdessen Schwarzbild gesendet, wie es gestern Abend dem fran­zö­sichspra­chi­gen Aus­lands­sen­der TV5MONDE wi­der­fahren ist.

Bei Angrifffen auf die Medien wie diesem ist der Begriff ein­deu­tig ne­ga­tiv kon­no­tiert. Die kalifornische Firma facebook allerdings hat sich das Wort hack in so gro­ßen Buch­sta­ben ins Pflaster legen lassen, dass es aus dem Flugzeug gelesen wer­den kann. Hier meint es wohl die Umwidmung eine landesweit bekannten Pu­bli­ka­tion, einer Art Abizeitung für jedes Schuljahr und jede Klasse, das war der erste Wort­sinn, in eine wer­be­fi­nan­zier­te Infoaustauschseite, die weltweit Kunden hat. Und dann sind da noch die Hacks des schwedischen Möbelhauses zum Beispiel, wie die individuell an­ge­pass­ten Produkte von Massenware genannt werden, der Begriff the cus­to­mi­za­tion beschreibt den Vorgang, sogar die Franzosen sprechen schon von la cus­to­mi­sa­tion.

Auf Deutsch haben wir diese Vokabel (noch) nicht übernommen, obwohl es im Deutschen sonst doch so viel stärker von Anglizismen wimmelt als im Fran­zö­si­schen. Und Französisch ist hier wirklich das Stichwort: Ich würde mich zur Stunde herzlich gerne auf einen Einsatz vorbereiten, aber bei einer französischen Behörde dauert das Osterwochenende offenbar die halbe Osterwoche an, seither hat sich die Seite nicht verändert. Oder waren da auch Hacker am Werk? Oder streiken die Informatiker? Ich wünsche mir baldige Änderung, dann denke ich übers Wünschen nach.

Ich sinniere zur Tatsache, wie schade doch es ist, dass es im Deutschen die gram­ma­ti­ka­li­sche Form des Optativs nicht gibt. Dieser unterscheidet sich in zwei For­men: Ein kupitiver Optativ drückt in einer eigenen Verbform einen wün­schens­wer­ten Wunsch aus, nicht zu verwechseln mit der anderen Verbform, potentialer Op­ta­tiv genannt, der wiederum einen mög­li­chen Wunsch ausdrückt. Manche Sprachen kennen diesen eigenständigen Modus, da­run­ter das Färöische, aber auch das Tür­ki­sche.

Lingua World, Anzeige, Dolmetscherinnen für 7,50 Euro die halbe Stunde (von 2011)
Etwas historisch, diese Anzeige, doch beispielhaft bis heute
Mir geht es um den Satz „Ich würde mich freuen dürfen, wenn ihr alsbald kreuz­ge­wal­tig auf die Nase flöget". Ein solcher Satz, mit echten Op­ta­ti­ven sicher sehr viel schö­ner, bezieht sich auf das Ge­bah­ren gewisser Agen­tu­ren und Pseu­do­agen­tu­ren, deren in­ter­nent­me­dia­le und me­di­a­le Überpräsenz extrem ner­ven.

Denn mit aggressiven Marketing und Dum­ping­prei­sen reduzieren sie nicht nur un­se­re Honorare auf Trinkgeldhöhe, sondern sie scheren sich einen Dreck darum, ob das Ergebnis am Ende gut ist. Denn außer diesem hoch­of­fi­ziel­len, staatlichen Ein­satz habe ich dieser Tage nichts vorzubereiten, eine Agen­tur scheint unsere Re­fe­renz­liste ab­te­le­fo­niert zu haben. (Ich weiß das sicher, aber aus juristischen Grün­den äußere ich mich vorsichtig.) Warum unsere Arbeit ihren Preis hat, steht hier: klick!

Zum Thema Sprachmakler sagt Freundin und Kollegin Britta knapp ihr: "Die sollen sich gehackt legen", und es passt. Und natürlich gab es Hackbraten zu Mittag, al­lein schon der Kohärenz wegen.
 
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Illustration: Netzfunde

Angriff auf die Kultur

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Hal­lo! Sie le­­sen in ei­­nem di­­gi­­ta­­len No­­tiz­­buch ei­­ner Über­­set­zer­in und Dol­­met­­sche­rin aus Ber­lin, die re­gel­mä­ßig in Paris arbeitet ... oder dort, wo Sie mich brau­chen. Heute Morgen musste ich aus aktuellem Anlass über Hacker nachdenken.

Hier folgt die Erklärung der französischen Kulturministerin zum Cyberangriff durch islamistische Terroristen, die mutmaßlich dafür gesorgt hatten, dass der fran­zö­sisch­spra­chi­ge Auslandssender nur Schwarzbild gesendet und auf seinen ge­ka­per­ten Webseiten Propaganda zu lesen war.


Übersetzung

Ich möchte den Teams von TV5MONDE meine uneingeschränkte Unterstützung ver­si­chern, denn dieser Angriff galt dem Recht auf freie Meinungsäußerung und der Kultur — sie sind gemeint, denn Kultur ist eine Waffe gegen Obskurantismus, gegen Fanatismus und Barbarei.

All jenen, die in der ganzen Welt TV5MONDE sehen, ein Medium, das die fran­zö­si­sche Kultur verbreitet, möchte ich mitteilen, dass wir alles daransetzen, damit Ihr Sender sehr bald die Arbeit wieder aufnehmen kann.

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Foto: facebook / Ministère de la Culture

DAF-Problem

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Was Übersetzer und Dolmetscher machen, wissen weite Teile der Bevölkerung nicht. Schlimmer noch, hartnäckig halten sich (zumindest beim Übersetzen) Vorteile und falsche Annahmen. Zum Beispiel das da: Übersetzen kann jeder, der zwei Sprachen so einigermaßen beherrscht. Blick auf den Schreibtisch.

Vokabelarbeit
Es war einmal ein Un­ter­neh­mer, der lebte in seiner fer­nen Heimat Tür an Tür mit ei­nem Men­schen, der aus ei­nem an­de­ren Land stammte. Nun er­gab es sich, dass die­ser Han­dels­mann in Kon­takt mit dem Her­kunfts­land des Nach­barn tre­ten wollte. Also frag­te er den Menschen eine Tür weiter, ob dieser nicht für ihn einen Über­setz­ungs­auf­trag für er­le­di­gen könnte.

Es war stadtbekannt, dass dieser Nachbar bereits Briefe und die Inhalte von Zei­tungs­ar­ti­keln für so manch anderen in die Landessprache übertragen hatte. Nun schien alles viel einfacher, ging es für ihn doch darum, nur in seine Muttersprache zu übersetzen. Das sollte doch kein Problem sein.

Soweit, so gut. Dieser Nachbar, der seit Jahrzehnten im Ausland lebt, sagte nicht nein, sondern übersetzte flugs eine lange Liste von Informationen, die sich an Kun­den richten, samt ausführlicher Beschreibungen von diverser Ware.

Das Ergebnis ist leider ein ungelenkes, oftmals falsches Deutsch. Für mich ist das ein DAF-Problem, ein Problem mit Deutsch als Fremdsprache, denn der Be­tref­fen­de spricht das Idiom seiner Mutter inzwischen so selten, dass eine Entfremdung eingetreten ist. Hier einige Beispiele, kursiv immer der "Ausgangstext".

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Das sind jetzt nur einige Beispiele, die keine Rückschlüsse auf das Produkt zu­las­sen. Dazu musste ich auch immer ein Auge auf dem Original haben, etliches war einfach falsch übersetzt. Ich hätte drei Monitore gebraucht.

Nun weiß ich nicht, was der freundliche Nachbar dem Handeltreibenden in Rech­nung gestellt hat, ich ahne nur, was ich in Rechnung stellen werde. Denn dieser Kleinknüselkram mit dem Umfang eines halben Spielfilmdrehbuchs hat mich jetzt drei Tage gekostet, keine vollen Tage, zwischendurch musste ich mein Hirn immer wieder frei bekommen vom Geschwurbel.

Gleich kann ich mich wieder ans Abarbeiten meiner Liste vom vorletzten Montag machen. Die Sache ist übrigens vom Ablauf her typisch, kaum steht der Plan ... fällt er. OK, Montag, das war eine Wunschliste. Ein Manager verplant auch nur den halben Tag, die andere Hälfte wird für Unvorhersehbares freigehalten.


P.S.: Reparaturarbeiten mache ich ab und zu, aber eher ungern. Für den Kunden wird die Sache in der Summe teurer, als wenn er gleich zu einem erfahrenen Profi gegangen wäre, denn insgesamt kostet es mehr Zeit als nötig. Daher ist bei solchen Sachen die Stimmung zunächst immer schlecht. Auf der an­de­ren Seite kommt mir die Rolle der heldenhaften Retterin zu, das kompensiert ein wenig. Oder so: Ich fühle mich wie die Maßschneiderin, die verschnittene Mode von der Stange zum aufwändigen Umarbeiten erhält. (Auch eine Form von custumization.)
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Foto: C.E. (Archiv)

Tanz in den Frühling

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Bon­jour, gu­ten Tag! Hier bloggt eine Über­set­zer­in und Dol­met­scher­in aus Paris, Berlin oder von dort, wo meine Kun­den mich brau­chen. Samstags folgen meine Lieb-Links der Woche.

Heute tanze ich in den Frühling! Was für ein inspirierender Film: Es ist nicht die Musik, die überall gespielt wird, aber trotzdem Tango (Tango!) — und dann die vielen un­ter­schied­li­chen Hin­ter­grün­de! Wo ich doch immer die Augen aufhalte nach schönen Por­trait­hin­ter­grün­den. Diesen Film hat mir heute ein Kollege ge­schickt, merci beaucoup, Thomas.


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Film: OK go für Skyscrapers

Die DNA der Stadt

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Berlin IST nicht, Berlin WIRD, las ich einmal
in einem Buch aus den 1920ern, viele Jahre,
bevor ich selbst hergekommen bin.

Berlin wird auch heute noch. Wird es schön?
Wird es klotzig? Hässlich? Wird es je fertig?

Berlin ist im Werden, sagt Marwan, er zog aus
Münster her. Berlin ist meine Heimat, sagt
Sonja aus Sachsen, ihr A klingt fast wie ein O.

Berlin wird chic, sagt Léa aus Frankreich. Das
wird teuer, sagt der Immobilienhai, und reibt
sich die Hände; höhnisches Gelächter.

Gestorben wird immer, sagt der Bestatter zum
Sohne (auf dass er sein Nachfolger werde).
Geboren wird immer, sagt die Hebamme zur
Tochter (die daraufhin Medizin studiert).

Zwischen Einschusslöchern auf der vorletzten
nackten Brandmauer Berlins und Lichtgenomen
auf neuer Wand überrascht: ein Stammbaum.


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Foto und Text: C.E.
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